Olle Körner? Von wegen! Samen sind wahre Zeitkapseln der Natur. Sie tragen alles, was sie für die Vermehrung brauchen, komprimiert und geschützt unter ihrer Hülle. Warum wir trotzdem in diese geniale Erfindung der Natur eingreifen, was Saatgutkonzerne damit zu tun haben und welche fatalen Auswirkungen das auf die Umwelt hat.
Saatgut mit Fülle in der Hülle
Was es mit dem Thema Saatgut auf sich hat, war mir lange überhaupt nicht klar. Wirklich bewusst ist mir dieses Wunder der Natur tatsächlich zum erstem Mal beim Sprossen Ziehen geworden: Kleine Samen können in Trockenruhe teilweise Jahr(zehnt)e lang unversehrt gelagert werden. Doch kaum gibt man ihnen Wasser, Licht und Wärme, beginnen sie plötzlich zu keimen und zu wachsen.
Natürliche Fruchtbarkeit ist heute nicht mehr selbstverständlich
Bevor der Mensch begann, Pflanzen nach Plan anzubauen – als vor ca. 10.000 Jahren – hatte die Natur die Vermehrung der Pflanzen selbst gelenkt. Ein Samenkorn fällt auf den Boden und beginnt zu keimen. Daraus wächst eine Pflanze, bildet Blüten und wird bestäubt. Dadurch wachsen im Fruchtknoten neue Samen. So entsteht ein Kreislauf, der die Pflanzensorte vor dem Aussterben bewahrt.
Ein Teil des heutigen Kulturbaus orientiert sich an diesem natürlichen Kreislauf. Nach der Ernte wird ein Teil der Samen einbehalten und im nächsten Jahr als Saatgut wieder ausgebracht. Das funktioniert aber nur, wenn es sich um eine samenfeste Sorte handelt. Hier ist dann von nachbaufähigem Saatgut die Rede.
Samenfestes Saatgut: Was Nachbaufähigkeit ausmacht
Saatgut ist immer dann samenfest, wenn aus den Samen eine Pflanze mit den gleichen Eigenschaften in Gestalt, Geschmack und Gesundheit, wie die Eltern-Pflanze wachsen kann.Im Rahmen meines BIO-ABCs habe ich bereits erklärt, was es mit samenfestem Saatgut auf sich hat.
Hybridsaaten verdrängen nachbaufähiges Saatgut
Allerdings führt Saatgut aus Hybridzüchtungen in eine Sackgasse. In der zweiten Generation verlieren sie nämlich bereits die günstigen Eigenschaften: Die Erträge fallen weit ab von denen der ersten Generation und die Früchte weisen sehr unterschiedliche Merkmale auf. Hier fehlt es außerdem an der Nachbaufähigkeit, sodass die Bauern jedes Jahr neues Saatgut kaufen müssen. Dadurch machen sich LandwirtInnen abhängig von großen Saatgutkonzernen. Hinzu kommt, dass Einwegsamen auf sie angepassten Dünger und Pestizide benötigen. Nur so können sie Hochleistungserträge bringen. Sie sind von Natur aus überhaupt nicht beständig gegen Krankheiten oder klimatische Veränderungen.
Lediglich vier Konzerne produzieren 60 Prozent des weltweiten Saatguts.
Quelle: IPES-Food
Hybridsaatgut steigert die Macht der Saatgutkonzerne
Die Züchtungsbranche verkleinert sich immer mehr auf wenige große Firmen – darunter Bayer AG mit Monsanto, ChemChina mit Syngenta, Corteva und BASF. Laut des internationalen Gremiums für nachhaltige Lebensmittelsysteme (IPES-Food) produzieren diese vier Konzerne weltweit über 60 Prozent des vertriebenen Saatguts und 80 Prozent aller Pestizide. So verkaufen die Saatgutkonzerne die exakt zugeschnittenen Präparate gleich mit an die Bauern/Bäuerinnen.
Außerdem versuchen sie immer mehr Züchtungen patentieren zu lassen. Unter den bereits patentierten Züchtungen sind beispielsweise Melonen, Tomaten, Zwiebeln. Durch Hybridsaaten, passende Düngemittel sowie Pestizide und Patenten nimmt die Abhängigkeit der LandwirtInnen immer mehr zu.
Warum Hochleistungs-Samen die Biodiversität verringern
Im Laufe der letzten Jahrhunderte ist ist durch leidenschaftliche Züchtungsarbeit eine wahnsinnige Vielfalt an Kulturpflanzen entstanden. Allerdings hat sich die konventionelle Landwirtschaft immer mehr auf besonders ertragreiche Sorten fokussiert. So sind mittlerweile zahlreiche Sorten teilweise unwiederbringlich verschwunden. Viele Samen bedrohter Sorten lagern in Samendatenbanken. Das kann für viele Sorten die letzte Rettung sein.
Etwa 75 Prozent der Nutzpflanzen sind bereits für immer verschwunden.
Quelle: FAO
Diese Monotonie macht sich auch auf deutschen Äckern bemerkbar. Laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) füllen Weizen, Gerste, Mais, Raps und Roggen drei Viertel der Ackerflächen. Vielfalt sieht in meinen Augen anders aus. Zahlreiche alte Getreidesorten wie Kamut oder Emmer sind heute Ausnahmen auf den Feldern.
Samenfeste Sorten nachfragen: Was wir für mehr Vielfalt tun können
Da es nicht genügend samenfestes Saatgut gibt, sind Hybridsorten auch in der biologischen Landwirtschaft vertreten. Allerdings wird hier bereits viel für die Züchtung samenfester Sorten getan. Im Biomarkt findest du außerdem häufig den Hinweis “samenfest” auf den Schildern von Obst und Gemüse – vor allem bei Karotten. Auch auf den Etiketten von Säften und Tomatenmark wird auf die Verwendung samenfester Sorten hingewiesen. Mit dem Kauf dieser Produkte können wir als Endverbraucher ein Zeichen setzen. Falls du auf der Suche nach Saatgut für deinen Balkon oder Garten bist, kaufe biologisches Saatgut – am besten mit demeter-Zertifizierung. Dieser Anbauverband zertifiziert nämlich ausschließlich samenfestes Saatgut. Demeter-Saatgut findest du zum Beispiel bei Rankwerk* oder in Bioläden.
Saatgut – mein Fazit
Dir raucht gerade ordentlich der Kopf? Willkommen im Club. Je tiefer ich in diese Materie einsteige, desto intensiver schüttle ich meinen Kopf. Wie wahnsinnig komplex das Thema ist, hätte ich nie gedacht – dabei habe ich den Gentechnik-Topf noch nicht mal geöffnet. Trotzdem: Wir dürfen uns davon nicht abschrecken lassen. Wissen ist Macht. Das wird mir immer wieder bewusst. Nur wenn wir das Wissen haben, können wir Systeme hinterfragen. Beim Thema Saatgut sitzen wir als VerbraucherInnen natürlich ganz am Ende. Und trotzdem können wir durch unseren Einkauf die Nachfrage nach samenfesten Sorten steigern.
Apropos Biodiversität, in diesem Artikel habe ich bereits erklärt, warum Bio Landwirtschaft für die Artenvielfalt so wichtig ist.
Foto: Verena Müller
Weitere Quellen: https://schrotundkorn.de/lebenumwelt/lesen/Saatgutmarkt.html https://www.boelw.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Pflanze/180518_BOELW_Position_Pflanzenzuechtung.pdf https://www.demeter.de/sites/default/files/richtlinien/richtlinien_pflanzenzuechtung_gesamt.pdf
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